Fußball oder Führungsetage: Ist gute (Aus-)Führung eine Frage des Geschlechts?

Fußball oder Führungsetage: Ist gute (Aus-)Führung eine Frage des Geschlechts?

Fußball oder Führungsetage: Ist gute (Aus-)Führung eine Frage des Geschlechts? 1024 683 Claus Verfürth

Der Countdown läuft: Die Frauen-WM 2023 in Australien und Neuseeland mit 32 Nationen findet statt. Lange wurde Frauen-Fußball belächelt, doch die Stimmung änderte sich vor allem seit der Frauen EM im letzten Jahr. Euphorisch schrieben Fans in den sozialen Netzwerken auf einmal Sätze wie: „Viel geiler, interessanter, besser! Die Mädels und jungen Frauen sind mindestens so gut wie Männer.“ Oder: „Frauenfußball wird leider unterschätzt! Es fehlt an Respekt und Wertschätzung, zumal viele Frauen besser spielen als manche Männer und auch nicht so wehleidig sind!“

Sind Frauen in der Führungsetage mutiger?

Trotz unserer Fortschrittlichkeit gibt es im Jahr 2023 noch immer Themen der Gleichberechtigung, Studien zum Anteil von Frauen in der Führungsetage und Ähnlichem. Frauen wurden in der Vergangenheit in Männerdomänen oder Chefetagen nicht ernst genommen oder sogar feindselig betrachtet. Sie sind dennoch mutig voran gegangen – über viele Jahrzehnte mit Erfolg. Erstmals wurden beispielsweise in diesem Jahr mit einem Anteil von 55% mehr Frauen als Männer in Dax-Aufsichtsräte gewählt.

Im Fußball sieht es laut dpa dagegen noch immer anders aus:

„Es ist für mich erstaunlich, dass es im Jahr 2023 noch immer eine Branche gibt, die sich abgekoppelt hat von allen anderen gesellschaftlichen Entwicklungen“, sagte Christina Reinhardt, Kanzlerin der Ruhr-Uni Bochum, die seit 2022 im Aufsichtsrat des VfL Bochum sitzt. „Die wenigen Frauen im Top-Management machen noch immer Pionierarbeit. Es braucht diese Role Models (Vorbilder), um insbesondere jüngere Frauen für eine Karriere im Fußball zu motivieren.“ Oder: „Die aktuelle Ausstrahlung des Fußballs, fehlende Vorbilder, unzeitgemäße Karrierebilder und jüngste Entscheidungen, die die Geschlossenheit des Systems abbilden, ermutigen Frauen nicht dazu, Führungspositionen im Fußball anzustreben“, kritisierte die Beiratsvorsitzende Katja Kraus, die Anfang der 2000er-Jahre beim Hamburger SV als erste Frau im Vorstand eines deutschen Bundesligisten arbeitete.

Gute Vorbilder braucht jeder.

DFB-Kapitänin Alexandra Popp und Co. sind auf ihre Weise zu Vorbildern geworden. Frauen in (früher) männlich dominierten Branchen unterscheiden sich oft deutlicher von ihren Kollegen, schon allein aufgrund ihres unterschiedlichen Führungsstils. Mit ihrem eher transformationalen Führungsstil begegnen Sie Mitarbeitern empathisch, auf Augenhöhe und verstehen sich oft als Mentor. Das macht sie sogar vielfach beliebter, vor allem bei Mitarbeitern der Generationen Y und Z.

Noch einmal zu Neuseeland: Anfang des Jahres hat die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern überraschend angekündigt, zurückzutreten. Sie war damals bei Amtsantritt die jüngste Ministerpräsidentin der Welt. 2018 war sie die erste Regierungschefin seit Jahrzehnten, die während ihrer Amtszeit Mutter wurde und kurz darauf wieder arbeitete, während ihr Mann sich um den Nachwuchs kümmerte. Als Grund für den Rücktritt gab sie an, dass sie nach eigenem Empfinden nicht mehr genug Kraft für weitere Jahre in ihrem Amt habe. „Ich weiß, was man für diesen Job braucht, und ich weiß, dass ich nicht mehr genug im Tank habe“, sagte sie in einer emotionalen Rede. Wegen ihrer empathischen Art und ihres erfolgreichen Krisenmanagements wurde sie jedenfalls international bewundert. Bei ihrer Verabschiedung kämpfte sie zeitweise mit den Tränen. Sie stand jedoch dazu: „Führungskräfte könnten ‚sensibel und freundlich‘ sein und trotzdem Erfolg haben.“

Ist diese Offenheit eine Schwäche oder war es wirklich mutig als Führungsperson, dies vor der ganzen Welt zuzugeben?

Chance in der Führungsetage

Radikaler Gesellschaftswandel: Von Stereotypen zu Gender Shift

Werden Männern und Frauen bestimmte Charaktereigenschaften oder Rollen zugeteilt, reproduziert dies bestimmte Stereotypen. Wenn Frauen immer weiter in einstige Männerdomänen und in die Führungsetage vorrücken, sollten sie jedoch nicht “männlich” sein müssen, um Respekt zu bekommen. Themen wie Empathie, Partizipation, Kooperation oder Bedürfnisorientierung sollten einen modernen Führungsstil prägen, sind jedoch keine Frage des Geschlechts. Zwar gibt es typische männliche und weibliche Eigenschaften, doch weisen Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Führungskollegen gar nicht so große Unterschiede auf. Sie setzen höchstens ihre Schwerpunkte anders. Vielleicht sollte es nicht immer darum gehen, die Rolle der Frau zu stärken, sondern darum, den Männern die neue Rolle der Frauen nahezubringen.

Aber auch traditionelle Familienstrukturen haben sich geändert: Mütter wie Jacinda Ardern kehren schneller in den Job zurück, Väter gehen häufiger in Elternzeit und Teilzeitarbeit und damit ergeben sich für alle neue Perspektiven der Lebensgestaltung. Identitäten werden sich wohl zukünftig jenseits von Geschlecht definieren. Laut Zukunftsinstitut werden mit dem Megatrend Gender Shift traditionelle Geschlechterrollen ihre soziale Relevanz verlieren. Veränderte Rollenmuster und aufbrechende Geschlechterstereotype sorgen für einen radikalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft und damit für eine neue Kultur. Wenn Menschen sich nicht mehr über ihr Geschlecht identifizieren, erfordert dies auch für Unternehmen und ihre Kommunikation gravierende Anpassungen. Wenn also Geschlechter keine Rolle mehr spielen, was wird relevant?

Dieser gesellschaftliche Wandel, aktuelle Herausforderungen wie der Fachkräftemangel sowie politische und wirtschaftliche Krisen erfordern somit auch ein Umdenken auf der Führungsetage. Andere Ideen und Perspektiven werden gebraucht.

Auf der Suche nach neuen Werten in der Führungsetage: Vielfalt ist die neue Debatte

Vor allem das Denken und Handeln der jüngeren Generationen wird in Zukunft die gesellschaftliche Wahrnehmung verändern. Was aber zeichnet jüngere Leute aus, was Ältere? Jüngere sind beispielsweise technikaffiner, Ältere haben einen großen Erfahrungsschatz. Ist man deshalb zu jung oder zu alt für einen Job? Auch das erzeugt wieder Stereotype. Egal ob, stetige Veränderungen in der Gesellschaft oder wirtschaftliche Aspekte wie der Fachkräftemangel: Diese Themen sollten Priorität im Topmanagement haben.

Laut dem Future of Jobs Report 2023 des Weltwirtschaftsforums (WEF) wird es innerhalb von fünf Jahren in einem Viertel aller Jobs deutliche Umwälzungen aufgrund technologischer Entwicklungen und Künstlicher Intelligenz geben. Manche Berufsfelder werden sich stark verändern, andere sogar vollständig verschwinden. Dennoch bleiben analytisches und kreatives Denken auch im Jahr 2027 die wichtigsten Fähigkeiten für Arbeitnehmer. In Zusammenarbeit mit anderen sind Führung und sozialer Einfluss sowie Empathie und aktives Zuhören weiterhin wichtige Aspekte.

Unternehmen, die sich nach dem Diversity Trend vielfältig aufstellen und die Fähigkeiten sowie das Wissen aller im Team berücksichtigen, könnten so wesentlich erfolgreicher sein. Sie haben nachweislich ein attraktiveres Unternehmensimage, die Mitarbeitermotivation ist höher und es lassen sich positive Synergien zusammen mit der Kundenzufriedenheit feststellen. Die Vielfaltsdebatte ist zum größten Teil jedoch stark auf die Geschlechterdimension verengt, beim Alter meist nur auf die Generation Z und zur Hälfte auf Inklusion.

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Führungskräfte sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen Mitarbeitern. Ein Beispiel der Generationen: Sie sollten einerseits darauf achten, dass sie auf die Werte und Bedürfnisse der jüngeren Generation eingehen. Aber sollten sie auch die Erfahrungen und Anforderungen der Älteren nicht außer Acht lassen. Hier gilt es, neue Ansätze zu finden, Generationen zusammenzubringen, ein gemeinsames Verständnis schaffen. Generell ist es hilfreich, eine Kultur zu schaffen, in der man Dinge offen ansprechen kann, wo alle gesehen und gehört werden. Eine offene Unternehmenskultur leistet dabei einen wichtigen Beitrag.

Fazit: Verschiedene Perspektiven können für alle bereichernd sein

Sowohl beim Fußball als auch in der Führungsetage muss das Team gut aufgestellt sein und die richtige Einstellung haben, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Fairplay sollte nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch in der Unternehmenskultur verankert werden.

Gute (Aus-)Führung ist damit keine Frage des Geschlechts – und auch nicht des Alters, der Herkunft usw. Es ist eher eine Frage der Persönlichkeit, Haltung und Wertschätzung. Topmanager und ihre Teams können von gegenseitigem Respekt, unabhängig von bestimmten Kriterien, sowie von generationenübergreifendem Lernen profitieren. Gelingt dies nachhaltig und auf authentische Weise, schreiben Mitarbeiter in den sozialen Medien vielleicht auch über das Unternehmen sowas wie: „Viel geiler, interessanter, besser!“

Innehalten, Nachdenken, Entscheiden, neu Ausrichten – das sind die Haltestellen einer Karriere. Die Beratung von The Boardroom ist keine einmalige Situation, sondern ein Prozess. Wir begleiten jedes Jahr zahlreiche Top-Führungskräfte auf ihrem Karriereweg.

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Claus Verfürth

Claus Verfürth ist Managing Director und Partner bei The Boardroom, dem von Rundstedt Beratungsbereich für Top-Manager.

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