Beruf vs. Familie: Wann lohnt sich der Karriererückschritt?

Beruf vs. Familie: Wann lohnt sich der Karriererückschritt?

Beruf vs. Familie: Wann lohnt sich der Karriererückschritt? 1024 683 Bernhard Mittasch

Immer häufiger sehen sich Führungskräfte zunehmenden Herausforderungen beim Ausbalancieren von Karriere, Gesundheit und Familie konfrontiert. Dabei stellt sich die Frage, ob man im Job kürzertreten sollte, um mehr Zeit für Familie, sich selbst oder Freizeitaktivitäten zu haben. Doch können Topmanager überhaupt kürzertreten, ohne einen Karriererückschritt hinzunehmen?

Der Zeitpunkt ist entscheidend

Karriere oder mehr Zeit für die Familie – wie wird ein Karriererückschritt wahrgenommen? Diese Frage lässt sich nicht einfach pauschal beantworten. Um bewerten zu können, ob sich etwa ein Rückschritt auch auf die weitere Karriere auswirkt und was man im Gegenzug dazugewinnt, hängt von vielen Faktoren ab.

Die Bedeutung von Karriere hat sich im Lauf der Jahrzehnte permanent verändert.

Arbeitet man beispielsweise in einem Konzern oder in einer mittelständischen Firma? Ist man als Abteilungsleiter tätig oder erfüllt man eine Funktion auf C-Level-Ebene? Welche gesellschaftliche Verantwortung trägt man? Steht man eher am Anfang der Karriere oder hat man bereits einen Punkt erreicht, mit dem man auf absehbare Zeit zufrieden ist? Und wie sieht überhaupt die weitere strategische Karriereplanung aus? Darüber hinaus muss zunächst geklärt werden, was überhaupt unter dem Begriff Karriere verstanden wird.

Was bedeutet heute Karriere?

Die Bedeutung von Karriere hat sich im Lauf der Jahrzehnte permanent verändert und bewegt viele in der Pandemie zum Überdenken ihrer Vorgehensweise. Während früher das Bild der „Karriereleiter“, bei der es Schritt für Schritt nach oben geht, sehr verbreitet war, ist heute immer häufiger die Vorstellung der Mosaikkarriere gängig. Bei letzterer ergibt es wenig Sinn, von einem „Rückschritt“ zu sprechen. Denn längst entwickeln sich Karrieren nicht zwangsläufig nach „oben“ oder „unten“, beziehungsweise „vor“ und „zurück“, sondern auch mal quer oder seitwärts.

Bei der Karriereplanung muss immer auch die dahinterstehende Motivation in den Blick gerückt werden. Auch hier lassen sich markante Unterschiede feststellen. Lange Zeit galt die Erlangung einer machtvollen Position in einem Unternehmen als treibende Kraft hinter einer Karriereplanung. Heute stehen häufig persönliche Werte und bestimmte Inhalte sowie die Möglichkeit, diese im Job zu verwirklichen, im Vordergrund. Wie eine Entscheidung über die Aufteilung von Beruf und Familie ausfällt, ist ebenfalls in diesem Koordinatensystem zu verorten.

Wie unterschiedlich die Vorstellung von Karriere sein kann, macht auch ein Vergleich zwischen den Generationen deutlich. Dabei lässt sich feststellen, dass die sogenannten Kaminkarrieren mit einem linearen Aufstieg innerhalb eines Unternehmens immer mehr an Bedeutung verlieren. Diese gelten nicht mehr als so anstrebenswert, wie es noch vor einer Generation der Fall war. Die jüngere Generation von Führungskräften verfolgt heute andere Karrierewege und sammelt häufig Erfahrungen in der Start-ups oder ausgegliederten Gesellschaften (z. B. im Bereich neue Prozesse bzw. Technologien), in denen oft eine andere Unternehmenskultur vorherrscht. Hier sind Home-Office, Sabbatical und flexible Arbeitszeiten meist eine Selbstverständlichkeit.

Wandel der Lebensmodelle

Die zunehmende Relevanz des Themas, das oft unter dem Schlagwort der Work-Life-Balance diskutiert wird, hängt auch mit dem Wandel der Lebensmodelle zusammen. So ist es heute durchaus selbstverständlich, dass beide Lebenspartner ihre Karriere verfolgen und sich bei der Kinderbetreuung aufteilen. Hinzu kommt, dass sich die Familienplanung weiter nach hinten verschieben kann. Wenn es um Vereinbarkeit von Karriere und Familie geht, spielt schließlich auch der Wohnort eine Rolle. Im Vergleich zu ländlich geprägten Gegenden sind die Betreuungsangebote in Ballungsgebieten oftmals strukturell ausgeprägter.

Der Wunsch nach mehr Freizeit muss zudem nicht zwangsläufig mit dem Familienleben oder der Kinderbetreuung begründet sein. Die Bedeutung von Freizeit, das Verlangen nach mehr Lebensqualität oder die Beschäftigung mit herausfordernden zukunftsorientierten Themenfeldern können ebenfalls gegen eine traditionelle Planung und Gestaltung der Karriere sprechen.

Die Auswirkungen der Digitalisierung

Nicht immer stellt sich die Frage nach einer neuen Aufteilung von Karriere, Freizeit und Familie freiwillig. Im Zuge der Pandemie mussten viele Führungskräfte vermehrt zu Hause arbeiten. Während dies bei manchen erst den Wunsch nach mehr Zeit für die Familie auslöste, konnten andere feststellen, dass sie sich eher verloren fühlten. Denn im Zuge des vermehrten Einsatzes digitaler Tools stellt sich die berechtigte Frage, ob Führungskräfte auch in Zukunft mehr Zeit haben werden. Während früher ein Pensum von 150 Flugreisen keine Seltenheit waren, ist es gut vorstellbar, dass auch nach der Pandemie ein großer Teil davon wegfällt.

Die Digitalisierung kann in diesem Zusammenhang die Funktion erfüllen, Karriere und Familien besser zu harmonisieren. Gerade wenn es darum geht, beispielsweise mehr Zeit mit der eigenen Familie zu verbringen, können die digitalen Tools dabei helfen, den hohen Anforderungen einer Führungsposition gerecht zu werden. Offen bleibt jedoch die Frage, wer weiterhin internationale Aufgaben erfüllt, wenn das virtuelle Arbeiten sich als neuer Standard etabliert. Neue Herangehensweisen sind auch nötig, wenn es um die Führung von Mitarbeitern geht und schließlich müsste die Gestaltung und Pflege des unternehmensinternen Karrierenetzwerks verstärkt ins Virtuelle verlagert werden.

Topmanager Journal

Sie möchten regelmäßig Neuigkeiten aus der Topmanagerwelt? Als Abonnent unseres Journals erhalten Sie viermal im Jahr exklusives Wissen kostenfrei in Ihr Mail-Postfach.

Der Sinn der Arbeit

Wenn es um eine neue Aufteilung von Berufs- und Privatleben geht, haben wir es mit einem Wandel auf mehreren Ebenen zu tun. Zum einen können wir feststellen, dass sich der Begriff von Karriere verändert. Gleichzeitig etablieren sich neue Lebensmodelle und durch die Digitalisierung wandelt sich die Arbeitswelt insgesamt. Die bereits erwähnte Start-up-Szene nimmt in vielerlei Hinsicht diese Entwicklungen vorweg. Hier lässt sich beobachten, dass junge Führungskräfte hart arbeiten, sich aber auch Freizeit nehmen.

Der Grund dafür ist eine Neubewertung des Sinns, den Arbeit für sie hat. Der Sinn von Arbeit verändert sich, wenn man beispielsweise für sich selbst arbeitet, oder seine Zeit mit nachhaltigen Aufgaben verbringt, die eine Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen zum Ziel haben. Hierbei gibt es aktuell auch ein starkes Umdenken der Führungskräfte, die zeitlebens dem alten Karrieremodell gefolgt sind.

Fazit: Unternehmen müssen vermehrt Sinn-Angebote für Top-Führungskräfte haben

In Zukunft wird es darum wichtig sein, dass einerseits Führungskräfte verstärkt für sich selber klären, welchen Sinn die Arbeit in ihrem Leben einnimmt. Dabei kann ein Coaching oder der Austausch mit einer Vertrauensperson wie einem Mentor eine entscheidende Rolle spielen.

Andererseits ist es auf Seiten der Unternehmen anzuraten, ihren Führungskräften verstärkt Sinn-Angebote zu machen. Das heißt, Offenheit zu signalisieren hinsichtlich von neuen Lebensmodellen oder Auszeiten wie Sabbaticals zu ermöglichen. Insbesondere wenn vermehrt junge und weibliche Führungskräfte und High Potentials angesprochen werden sollen, ist es in Zukunft unerlässlich, auch neue Karrierewege zu ermöglichen, neue Beschäftigungsverträge und Arbeitsmodelle zu erarbeiten sowie mehr Flexibilität zu gewährleisten.

Unsere Artikel-Empfehlungen:

[Bildnachweise: © iStock – Imgorthand / iStock – skynesher]

Bernhard Mittasch

Bernhard Mittasch ist Director Senior Relations bei The Boardroom, dem von Rundstedt Beratungsbereich für Top-Manager.

Alle Beiträge von:Bernhard Mittasch