Verträge? Nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben werden!

Verträge? Nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben werden!

Verträge? Nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben werden! 1024 683 Dr. Stefan Röhrborn

Verträge? Wozu?

Der morgendliche Blick in den Wirtschaftsteil (nicht selten auch Gesellschaftsteil) der Tageszeitung wirft zumindest bei Arbeitsrechtlern die Frage auf: Warum scheiden so viele Vorstände und Geschäftsführer aus dem Amt aus, obwohl deren Verträge doch sicher noch länger laufen?

Meine provokante These: Verträge sind nicht das Papier wert, auf dem sie stehen! Dabei ist die Ausgangslage juristisch betrachtet ganz eindeutig: Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten. Aber schon der deutsche Philosoph Immanuel Kant hat die oft zitierte, aber nur selten passende Phrase gedroschen: Die normative Kraft des Faktischen!

Irgendwo zwischen diesen gegensätzlichen Polen findet das statt, was sich in der Wirtschaftsrealität abspielt: Der Aufsichtsrat oder die Gesellschafterversammlung möchten sich von einem Exekutivorgan trennen, obwohl die Amtszeit noch nicht abgelaufen und der Dienstvertrag nicht vorzeitig kündbar ist.

Meine provokante These: Verträge sind nicht das Papier wert, auf dem sie stehen.

Aber auch umgekehrt erleben wir: Der Vorstand/Geschäftsführer möchte vorzeitig das Unternehmen verlassen, obwohl Amt und Vertrag noch – nicht selten über mehrere Jahre – laufen.

Und das Ergebnis ist – und hier wage ich eine weitere provokante These – immer! die vorzeitige Auflösung von Vertrag und Amt.

Die Rechtslage ist eindeutig, dennoch kommt es anders

Zunächst ist die rechtliche Situation eindeutig: der Vorstand einer AG und der Geschäftsführer einer mitbestimmten GmbH können nur aus wichtigem Grund, der Geschäftsführer einer nicht mitbestimmten GmbH jederzeit auch ohne Grund aus dem Amt abberufen werden.

Organverträge sind in der Regel vom Amt unabhängig und auf einen festen Zeitraum, regelmäßig die Bestellungsdauer, abgeschlossen. Für diesen festen Zeitraum ordentlich unkündbare Verträge können einseitig weder durch die Gesellschaft, noch durch das Exekutivorgan vorzeitig beendet werden. Beide Parteien müssen sich an diese rechtliche Situation halten.

Der Wunsch einer der Parteien, Amt und Vertrag vorzeitig zu beenden, lässt sich daher in aller Regel nur einvernehmlich umsetzen, also mit Zustimmung der jeweils anderen Partei.

Aber: Kant und „seine“ normative Kraft des Faktischen behalten in der Realität dennoch die Oberhand über die Rechtslage.

5 Gründe, warum sich die Gesellschaft mit ihrem Trennungswunsch durchsetzt

Bei bestehendem Trennungswunsch der Gesellschaft hat diese trotz gegenteiliger Rechtslage faktisch durchgreifende Handlungsoptionen.

  1. Die Abberufung des Vorstands durch den Aufsichtsrat ist nach der klaren Gesetzeslage so lange wirksam, bis das Gegenteil rechtskräftig festgestellt ist. Und diese rechtskräftige Feststellung der Unwirksamkeit (z.B. wegen Fehlens eines Abberufungsgrundes) geschieht erst nach mindestens zweijähriger Prozessdauer. Bei Durchführung von Rechtsmittelinstanzen dauert sie auch drei oder mehr Jahre.
  1. Selbst bei sofortiger Wirksamkeit der Abberufung, z.B. bei einer nicht mitbestimmten GmbH, ist die Abberufung kein Umstand, der den Vertrag vorzeitig beendet. (Auf die Wirkung von vereinbarten Kopplungsklauseln möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen.) Allerdings kann (nicht: darf) die Gesellschaft den Anstellungsvertrag fristlos kündigen. Die Kündigung ist ebenfalls so lange wirksam, bis das Gegenteil rechtskräftig festgestellt ist. Dies kann auch wieder zwei bis vier oder fünf Jahre dauern.
  1. Macht der – zu Unrecht – fristlos gekündigte Vorstand oder Geschäftsführer die Unwirksamkeit der Kündigung geltend, muss er sich dennoch an das vertragliche Wettbewerbsverbot halten. Für die Prozessdauer kann der Vorstand/Geschäftsführer also nicht für den Wettbewerb arbeiten.
  1. Wird der Vorstand/Geschäftsführer für die Prozessdauer für nichtkonkurrierende Unternehmen tätig, muss er sich auf seine Vergütungsansprüche gegenüber der Gesellschaft seinen neuen Verdienst vollständig anrechnen lassen. Dies ist klare Gesetzeslage. Je schneller der Vorstand/Geschäftsführer eine neue Beschäftigung aufnimmt, desto wirtschaftlich günstiger kommt die Gesellschaft „weg“.
  1. Der Vorstand/Geschäftsführer ist auch deshalb in der wirtschaftlich unterlegenen Situation, weil er regelmäßig die erheblichen Prozess- und Anwaltskosten vorstrecken muss. Denn er ist es, der seine Vergütungsansprüche einklagt. Nur bei einem vollständig obsiegenden Urteil erhält er die Kosten von der unterliegenden Partei erstattet. Aber schon bei einem Vergleich trägt regelmäßig jede Partei die eigenen Kosten. Die Kosten der Klageerhebung und Prozessführung können sich leicht auf zwei volle Monatszielgehälter des Organs belaufen.

Trennungswunsch – auch eine wirtschaftliche Frage

Der Vorstand/Geschäftsführer muss sich also gut überlegen, ob sich eine gerichtliche Auseinandersetzung überhaupt zeitlich und wirtschaftlich lohnt. Die Rechtslage bezüglich der Abberufung und Kündigung ist dabei in der Praxis zweitrangig. Entscheidend ist die Frage, wie schnell der Vorstand/Geschäftsführer eine neue Stelle antreten kann – oder aus wirtschaftlichen Gründen auch muss. Denn bis das erste Geld seitens der kündigenden Gesellschaft an den Vorstand/Geschäftsführer überwiesen wird, können viele Monate, gar Jahre vergehen.

All dies sind Überlegungen, die die Gesellschaft bei der Kommunikation des Trennungswunsches gegenüber dem Vorstand/Geschäftsführer längst angestellt hat und dem Exekutivorgan gegenüber auch vor Augen führt. Die – jedenfalls anfänglich natürliche – Haltung des Organs, eine etwaige Kündigung und Abberufung „auszusitzen“, um den vollständigen Vertrag zu kapitalisieren, hat sich in der Praxis nur äußerst selten als sinnvoll und erfolgreich erwiesen. Denn das Unternehmen kommt auch bei einer unwirksamen fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrags in aller Regel deutlich billiger davon, als bei 100 % iger Auszahlung der Gehälter für die Restlaufzeit des Anstellungsvertrags.

Vorstände und Geschäftsführer müssen sich überlegen, ob sich eine gerichtliche Auseinandersetzung überhaupt zeitlich und wirtschaftlich lohnt.

Das ist der Grund, warum der Trennungswunsch des Unternehmens trotz gegenteiliger Rechtslage in aller Regel zu einer einvernehmlichen vorzeitigen Beendigung von Amt und Vertrag führt, und die vollständige Kapitalisierung der Zielgehälter während der Restlaufzeit eines Vertrags kaum verhandelbar ist.

Und was passiert beim Trennungswunsch des Vorstands/Geschäftsführers?

Auch der Wunsch eines Vorstands/Geschäftsführers nach vorzeitiger Entlassung führt in aller Regel zur einvernehmlichen Trennung. Auch hier spielen die einer vorzeitigen Entlassung entgegenstehenden vertraglichen und gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen juristisch nur eine sehr untergeordnete Rolle. Faktisch führt der unbedingte Trennungswunsch des Organs zur vorzeitigen Trennung.

Denn die allerwenigsten Unternehmen möchten es sich leisten, einen innerlich bereits gekündigten Unternehmensleiter über Jahre weiter zu beschäftigen. Bei einer vorzeitigen Beendigung von Amt und Vertrag werden allerdings dann kaum Möglichkeiten auf Seiten des Vorstands/Geschäftsführers bestehen, eine Abfindung oder auch nur teilweise Kapitalisierung der Vergütung während der Restlaufzeit zu verhandeln.

Fazit: Treffen Sie bereits zu Beginn der Zusammenarbeit Regelungen für eine außerordentliche Kündigung

Ist deshalb der Vertrag tatsächlich nichts wert? Nein, das kann man so nicht behaupten. Die vertraglichen Parameter sind die Basis für Vergleichsverhandlungen. Gehaltsregelungen, Bonusregelungen, Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, vereinbarte Vertragsdauer oder Kündigungsfristen, Kopplungsklauseln, all das sind wertbildende oder bei ungünstiger Regelung auch wertvernichtende Faktoren für die Trennungsverhandlungen. Dies gilt aber nur dann, wenn der Trennungswunsch seitens der Gesellschaft erhoben wird. Möchte der Vorstand/Geschäftsführer aus eigenen Stücken ausscheiden, sind Abfindungsverhandlungen unwahrscheinlich bis ausgeschlossen.

Um seitens des Unternehmens und des Organs nicht in das beschriebene Dilemma zu geraten, sollten sich beide Parteien zu Beginn der Geschäftsbeziehung über außerordentliche Exit-/Kündigungsregelungen Gedanken machen, die die Interessen bei vorzeitiger Vertragsbeendigung angemessen berücksichtigen.

[Bildnachweis: © iStock – scyther5]

Dr. Stefan Röhrborn

Dr. Stefan Röhrborn ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Vangard in Düsseldorf. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung und Vertretung von Geschäftsführern, Vorständen und leitenden Mitarbeitern in arbeitsrechtlichen Anliegen.

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