Stress, Burn-Out und Introvision Coaching – Teil 2

Stress, Burn-Out und Introvision Coaching – Teil 2

Stress, Burn-Out und Introvision Coaching – Teil 2 1024 742 Ulrich Dehner

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Nachdem im ersten Teil vor allem die Ursachen und Folgen von Stress betrachtet wurden, sollen im Folgenden einige Anwendungsgebiete für Introvision-Coaching angeführt werden, mit denen mehr Stress-Resilienz erreicht werden kann.

Angst, zu versagen

Selbst bei erfolgreichen Menschen ist diese Angst heutzutage erstaunlich häufig anzutreffen. Viele der beruflich sehr Erfolgreichen werden nicht oder jedenfalls nicht nur von der Lust am Erfolg getrieben, sondern eigentlich von der inneren Forderung: „Ich darf auf gar keinen Fall versagen – ich muss erfolgreich sein!“

Wenn, vielleicht auf Grund von Arbeitsüberlastung, Zweifel aufkommen: „Ich weiß gar nicht, ob ich das hinbekomme“, „Ich bin davon womöglich überfordert“, „Ich weiß gar nicht, ob ich gut genug für diesen Job bin“, entsteht jener Alarm, der sich schließlich als Angst vor dem Versagen äußert.

Manche der Erfolgsgetriebenen halten sich im Grunde ihres Herzens sogar für „Hochstapler“.

Die Angst vor dem Scheitern wird von manchen Erfolgreichen natürlich auch als Antriebsmittel genutzt. Sie peitschen sich zum ständigen Arbeiten aus der Angst heraus, wenn sie jetzt nicht Gas geben und noch dieses oder jenes erreichen, ganz zu versagen. Dieses Versagen malen sie sich selbst in den düstersten Farben aus — schlimmer als jede Realität. Das passiert ganz einfach deshalb, weil sie es nie erlebt haben, etwas nicht zu erreichen und deshalb gar nicht wissen, wie es wirklich ist.

Mit diesem „Treibstoff“ sind sie zwar tatsächlich sehr erfolgreich, aber mit viel zu hohem Energieeinsatz. Dazu kommt noch, dass sie ihre Erfolge für gewöhnlich nicht wirklich würdigen, geschweige denn genießen können. Manche der Erfolgsgetriebenen halten sich im Grunde ihres Herzens sogar für „Hochstapler“, die von dem, was sie machen, nicht wirklich etwas verstehen. In diesem Fall kommt noch die Angst hinzu, dass sie irgendwann „enttarnt“ werden, weil die Umwelt herausfindet, „wie wenig“ sie können.

Den meisten dieser Klienten mit Versagensängsten ist im Übrigen rational vollkommen klar, dass viele ihrer Sorgen unbegründet sind, dass ihre Vorgesetzten mit ihnen zufrieden sind, dass die wenigsten Projekte absolut termingetreu fertiggestellt werden, dass sie bislang noch nie schwerwiegende Fehler gemacht haben. Aber auch, wenn ihre rationale Seite sagt: „Eigentlich kann mir nicht viel passieren – selbst wenn man mich entlassen würde, fände ich schnell wieder einen Job“, ist es die weniger rationale Seite, die ihre Gefühlslage und ihren inneren Zustand bestimmt, und die reagiert mit Angst.

Da von Angst oder gar Panik andere Hirnteile aktiviert werden, als wenn man entspannt und gelassen arbeitet, wird die Funktion des Großhirns, die für unsere Ratio zuständig ist, schnell außer Kraft gesetzt, was zur Folge hat, dass man hektisch wird, das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren und im Extremfall im Burnout landet.

Mangelndes Durchsetzungsvermögen

Wenn solch eine Schwäche auch durch Arbeit am Verhalten mit Rollenspielen nicht behoben werden kann, lohnt es sich, nach dem inneren Verbot zu suchen, das der Unfähigkeit, sich klar zu positionieren und abzugrenzen, zugrunde liegt. Meist wird man dabei eine Variation finden vorn „Ich darf auf gar keinen Fall abgelehnt werden“ oder „Ich muss dafür sorgen, dass ich gemocht werde“. Das erzeugt die Angst „Wenn ich anderen Leuten auf die Füße trete, dann passiert genau das, was nicht passieren darf!“

Solange diese Angst nicht abgebaut ist, kann ein Verhaltenstraining nicht wirklich fruchten, denn was man im Rollenspiel übt, führt im besten Fall zu einer Art aufgesetzten Verhaltens, das vielleicht ein- oder zweimal gezeigt wird, aber sofort wieder in der Versenkung verschwindet, wenn derjenige den Gegenwind bekommt, der seine Glaubenssätze und Befürchtungen zu bestätigen scheint. Um auf eine ruhige und konstruktive Art konfrontativ werden zu können, muss man zuerst einmal den inneren Alarm loswerden.

Ist der erst einmal aufgelöst, lassen sich sehr schnelle Veränderungen wahrnehmen. Die Klienten sind meist völlig überrascht, wie gelassen sie plötzlich Stellung beziehen können und wundern sich, wo die ganze Aufregung geblieben ist, die früher immer mit schwierigen Gesprächen verbunden war.

Lampenfieber und Auftritts-Angst

Lampenfieber und Auftritts-Angst

Hinter dem inneren Verbot, im Mittelpunkt zu stehen, steckt häufig der Glaubenssatz „Ich genüge nicht“. Dieser Glaubenssatz korrespondiert zum Beispiel mit dem Imperativ „Ich muss immer brillant sein“. Wer aber vielleicht schon die Erfahrung gemacht hat, bei der Rede auf der Geburtstagsfeier „versagt“ zu haben, weil man verkrampft und befangen war, herumgestottert hat, die eigenen Witzchen gar nicht gut ankamen, der hat damit seinen Glaubenssatz „Ich bin eben nicht gut genug“ eher verfestigt, als seine Ängste abzubauen. Also weiß man genau über seine Probleme Bescheid: „Ich kann das nun mal nicht!“ und traut sich in Zukunft erst recht nicht mehr.

Manchmal lautet das innere Verbot aber auch: „Ich darf mich nicht selbst in den Mittelpunkt stellen. Ich darf mich nicht so wichtig nehmen.“ Dann ist es auch unangenehm, wenn alle anderen einen wichtig nehmen. Muss der Betreffende öffentlich auftreten, ist allein schon der Gedanke, dass alle anderen ihn ansehen, eine Qual. Dahinter stecken oft die alten Erfahrungen aus der Kindheit, wenn man ermahnt oder gezwungen wurde, sich zurückzuhalten, bescheiden zu sein, auf gar keinen Fall aufzufallen. Daraus entwickelten sich schließlich die inneren Verhaltensvorschriften: „Ich muss bescheiden sein / ich darf nicht im Mittelpunkt stehen!“

Wenn jemandem als Kind systematisch abtrainiert wurde, Aufmerksamkeit zu erheischen, auf sich aufmerksam zu machen, vielleicht auch einmal den Clown zu spielen und die Lacher der Erwachsenen zu ernten, so müsste man als Erwachsener über einen schier unüberwindlichen Schatten springen, um plötzlich nur auf Aufforderung hin genau das Verhalten zu produzieren, dass früher sanktioniert wurde. Das gelingt für gewöhnlich erst dann zufriedenstellend, wenn die entsprechenden Alarme gelöscht wurden.

Die Unfähigkeit, sich gegen andere abzugrenzen

Anderen Menschen gegenüber eine Grenze zu ziehen, sich zum Beispiel gegen einen übergriffigen Kollegen zu wehren, oder einem dauernd fordernden Chef einmal Nein zu sagen, oder auch einmal einem Mitarbeiter zu sagen, dass man jetzt nicht gestört werden will, fällt manchen Menschen sehr schwer. Wenn ein Verhaltenstraining allein hier nicht zum Ziel führt, weil derjenige auch danach nicht den Mut aufbringt, sich abzugrenzen, ist ein Introvision-Coaching hilfreich, denn hinter dieser vermeintlichen „Unfähigkeit“ steckt oft die Angst, dadurch könnte man den anderen verletzen.

Die dazu passende innere Verhaltensregel lautet dementsprechend „Ich darf auf keinen Fall jemanden verletzen!“ oder auch „Ich muss immer dafür sorgen, dass alle sich wohlfühlen!“ Die Vorstellung, wie der andere sich fühlt, wenn man selbst Nein sagt, triggert den Alarm, womit man sich selbst extrem unwohl fühlt, also lässt man es bleiben.

Sich viel zu schnell persönlich getroffen fühlen

Manche Klienten haben mit dem Problem zu kämpfen, sich viel zu schnell getroffen zu fühlen, weil sie Feedbacks oder auch einfach Bemerkungen von anderen persönlich nehmen. Dahinter steckt meistens die Angst vor Zurückweisung, mit einem inneren Glaubenssatz, der etwa lauten könnte „Es darf auf gar keinen Fall passieren, dass ich abgelehnt werde“. Gelegentlich ist aber auch der innere Glaube, dass man perfekt sein müsse, um akzeptiert zu werden, der einen so empfindlich werden lässt. Wer nach der inneren Forderung „Ich darf auf gar keinen Fall Fehler machen“ lebt, nimmt es sofort persönlich, wenn ihn jemand auf etwas nicht Perfektes aufmerksam macht, selbst wenn das ganz wohlmeinend geschieht.

Der Mechanismus, der sich dabei abspielt, funktioniert so: Der Betroffene hat ständig abwertende innere Dialoge sich selbst gegenüber: „Ich Idiot“, „Ist ja mal wieder typisch für mich, so was Blödes zu machen“, „Du bist doch echt eine dumme Nuss“, „Das schaffe ich sowieso nicht“ und ähnliche Schmeicheleien. Diese inneren Dialoge sind so belastend, dass der Betroffene es schlicht nicht mehr verkraftet, wenn von außen auch noch ein „kritisches“ Feedback kommt, auch wenn das gar nicht böse gemeint ist, weshalb er sofort in Verteidigungshaltung geht und manchmal in ganz unangemessener Weise „zurückschießt“.

Dieses Problem auf rationalem Wege in den Griff bekommen zu wollen, ist aussichtslos. Der Alarm, wenn auch nur die leiseste Kritik von außen kommt, ist so heftig, dass die ganze Verhaltenskette von sich angegriffen fühlen, bis sich wehren, schon längst in Gang gesetzt ist, ehe der rationale Verstand überhaupt begriffen hat, was läuft. Im Nachhinein können viele der Betroffenen zwar einsehen, dass ihre Reaktionen überzogen waren, aber während es real passiert, sind sie nicht in der Lage, ihre Emotionen zu kontrollieren.

Um hier wirklich Nachhaltigkeit zu erzielen, müssen die inneren Mechanismen aufgelöst werden, sodass die Alarme nicht mehr anspringen und die Betroffenen einen anderen Weg finden, mit Kritik oder auch mit Zurechtweisungen umzugehen – ohne alles so persönlich zu nehmen, dass ihr innerer Dialog in Gang kommt und sie sich verletzt fühlen.

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Ausrasten

Wenn jemand dazu neigt, richtiggehend auszurasten, so weist das eigentlich immer darauf hin, dass derjenige gerade massiven Stress erlebt – von den eher wenigen Fällen abgesehen, dass ein Vorgesetzter solch ein Verhalten wohlüberlegt und gezielt einsetzt (was jedoch ein Indiz für ganz andere Probleme sein dürfte). Für echtes Ausrasten gibt es jedoch ganz erstaunliche Beispiele, von Gebrüll, das noch drei Büros weiter zu hören ist, bis hin zu Führungskräften, die mit Gegenständen um sich werfen.

Dieser Verlust von Souveränität spricht dafür, dass derjenige wenige Wege zur Verfügung hat, wie er eine schwierige Situation bewältigen kann. Der erlebte innere Stress wird mit hohem Energie-Aufwand nach außen abreagiert – man öffnet das Ventil des Kessels zur Gänze, damit aller Dampf entweichen kann. Das tut subjektiv im ersten Moment zwar vielleicht gut, ändert aber nichts daran, dass sich bei nächster Gelegenheit erneut jede Menge Dampf bildet. Außerdem ist diese Art des Dampfablassens weder konstruktiv noch sonst irgend hilfreich, was den Leuten ja auch klar ist.

Das Problem dabei ist der vorhandene Stress. Da lautet die nächstliegende Frage: Weshalb kommt eine Führungskraft derartig in Stress, dass sie sich nicht mehr anders zu helfen weiß als auszurasten? Menschen besitzen unterschiedliche Mechanismen, wie sie unter Stress reagieren. Bei leichtem Stress sind die Reaktionsweisen meist noch überlegt und vernünftig. Wird der Stress jedoch stärker, greift man typischerweise auf Verhaltensweisen aus der Kindheit zurück, und wird er dann noch stärker, so greift man zurück auf andere Hirnteile, die lediglich drei Möglichkeiten bieten, um mit lebensbedrohlichen Situationen umzugehen: Angriff, Flucht oder Erstarren.

Herumzuschreien ist ein typisch kindliches Stressbewältigungsverfahren, bei dem klar erkenntlich wird, dass das Stresslevel bereits so hoch ist, dass das Großhirn nur noch bedingt zugänglich ist. Welche Gründe dafür verantwortlich sind, sind von Person zu Person verschieden, weshalb man nicht sagen kann, dass genau dieser oder jener innere Mechanismus dahintersteckt. Das muss eine genaue Problemanalyse ergeben, sodass man auch die entsprechenden Alarme mithilfe von Introvision löschen kann.

Fazit: Mit dem richtigen Ansatz zu mehr Stress-Resilienz

Abschließend soll noch einmal wiederholt werden: Stress und seine vielfältigen Auswirkungen sind nichts, dem man hilflos ausgeliefert ist, auch nicht in schwierigen Situationen wie der jetzigen. Man kann relativ schnell und einfach mehr Stress- Resilienz erreichen – mit den richtigen Methoden!

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[Bildnachweise: © iStock – kieferpix / LightFieldStudios]

Ulrich Dehner

Ulrich Dehner ist Diplom-Psychologe und Geschäftsführer der Dehner Academy. Er ist seit über dreißig Jahren als Trainer und Coach aktiv und Gründungs- und Vorstands-Mitglied des DBVC (Deutscher Bundesverband für Coaching).

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