Rente mit 55: Sollte es eine Altersgrenze für Top-Executives geben?

Rente mit 55: Sollte es eine Altersgrenze für Top-Executives geben?

Rente mit 55: Sollte es eine Altersgrenze für Top-Executives geben? 1024 683 Claus Verfürth

Mit Mitte 50 ist Schluss – diese Erfahrung machen nicht wenige Führungskräfte, die sich nach einer erfolgreichen Karriere im Topmanagement noch einmal auf die Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung machen. Ob freiwillig oder unfreiwillig – leicht ist es keineswegs, in diesem Alter noch einmal neu zu starten. Junge, dynamische und „frische“ Kandidaten werden oft bevorzugt, ältere Bewerber in vielen Fällen direkt aussortiert. Stimmt das und wenn ja: woran liegt das?

Welchen Wert hat Erfahrung?

Zunächst einmal müssen sich beide Seiten eine einfache Frage stellen: Welchen Wert hat (meine) Erfahrung? In der Beantwortung liegt der Schlüssel zum Rätsel, warum manche Unternehmen kategorisch ältere Bewerber aussortieren – und warum sich viele ältere Top-Executives überhaupt nicht mehr trauen, einen neuen Karriereschritt zu wagen. Ob freiwillig oder unfreiwillig – ein neuer Karriereschritt über 50 bedarf einer guten Vorbereitung und einer intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen, Stärken, Schwächen und Zielen.

„Ein reicher Erfahrungsschatz lässt auch jüngere Bewerber alt aussehen.“

Für Topmanager, die ihr Berufsleben überwiegend in Spitzenpositionen gearbeitet und viel Verantwortung getragen haben, ist die Beantwortung der Erfahrungs-Frage geradezu überlebenswichtig. Denn ihre Erfahrung ist die wichtigste Währung, die sie haben. Ein reicher Erfahrungsschatz lässt auch jüngere Bewerber alt aussehen – und das Unternehmen vergessen, dass die Altersgrenze für die Stelle eigentlich bei 40 lag. Doch nicht nur der Topmanager im fortgeschrittenen Alter muss sich diese Frage stellen – auch die Unternehmen sollten sich mit dieser Thematik intensiv auseinandersetzen.

Je höher die Hierarchieebene, desto unwichtiger wird das Alter

Aus Sicht eines Unternehmens bietet ein junger und dynamischer Kandidat gleich in doppelter Hinsicht einen Mehrwert: Erstens bleibt er dem Unternehmen im Idealfall lange erhalten und zweitens kostet er weniger, als ein älterer Bewerber. Trotzdem bringt ein jüngerer Kandidat eines nicht mit: langjährige Erfahrung. Und die ist bei Spitzenpositionen unabdingbar. Der Wert der Erfahrung steigt also für ein Unternehmen mit der Höhe der Hierarchieebene.

Und hier haben auch ältere Bewerber beste Chancen – wenn sie sich denn des Wertes ihrer eigenen Erfahrung bewusst sind und diesen auch erfolgreich präsentieren können. Ein prominentes Beispiel ist die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt. Sie wurde nach ihrer Richterkarriere im Alter von 60 Jahren vom damaligen Daimler-Chef Dieter Zetsche als erste Frau in den Vorstand des Stuttgarter Autokonzerns berufen. Mit 65 war dann immer noch nicht Schluss: Hohmann-Dennhardt wechselte in den Vorstand der Volkswagen AG, wo sie bis 2017 das Ressort „Integrität und Recht“ leitete.

Erfahrung ist Gold wert – nicht zuletzt deshalb spricht man ja auch vom „Erfahrungsschatz“. Besonders in Krisenzeiten setzen Unternehmen auf erfahrene Führungskräfte, die bereits lange Jahre gezeigt haben, dass sie das Schiff auch in unruhigem Fahrwasser sicher steuern können. Erfahrung bringt Sicherheit – eines der liebsten Wörter für Anleger und Aktienhändler. Sicherheit bedeutet Stabilität und Stabilität bedeutet Wachstum.

Erfahrung und Innovation – passt das zusammen?

Innovation und Erfahrung als Bausteine einer Pyramide

Bei allen Vorteilen, die ältere Bewerber für ein Unternehmen mitbringen – ein Argument für junge Bewerber lässt sich nicht so leicht entkräften: junge Kandidaten stehen für Innovation, Veränderungsbereitschaft und zukunftsorientiertes Handeln. Sie wollen etwas verändern und gehen motiviert und engagiert an Herausforderungen heran, sind offen für Neues und eine Modernisierung von Strukturen. Das klingt zwar im ersten Moment ganz wunderbar, ist allerdings mit gewissen Risiken verbunden.

Gerade Stellen mit einer großen Verantwortung brauchen einen Entscheider mit einer ruhigen und besonnenen Herangehensweise, der sich mit den spezifischen Herausforderungen auskennt und die notwendige Erfahrung mitbringt, um auch bei plötzlich auftretenden Problemen souverän und sicher zu handeln. Erst auf einer stabilen und zuverlässigen Basis kann Raum für Innovationen und Veränderungen entstehen – ohne diese Basis wären die Risiken unkalkulierbar.

Bewerber müssen den Entscheider ansprechen, nicht den Recruiter

Doch was können ältere Führungskräfte konkret tun, um ihre Qualitäten auch sichtbar werden zu lassen? Schließlich werden vielfach Bewerbungen schon allein wegen des Geburtsjahres aussortiert, ohne dass überhaupt die Qualitäten des Bewerbers angeschaut werden. Ältere Kandidaten müssen es gewissermaßen schaffen, nicht durch „das Rost des klassischen Recruiters“ zu fallen. Die Ansprache muss direkt an den Entscheider gehen. Der Bewerber muss seine Erfahrung und seine Führungsqualitäten überzeugend präsentieren – unabhängig von seinem Alter.

Dafür ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Unternehmen von allerhöchster Wichtigkeit. Die aktuellen Herausforderungen des Unternehmens und der offenen Stelle müssen mit der Erfahrung und den Qualitäten des Kandidaten zusammenpassen. Nur so kann ein älterer Topmanager sich als perfekter Lösungsanbieter präsentieren, der einen genauen Fahrplan für das Unternehmen und die offene Stelle kennt.

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Fazit: Eine Altersgrenze für Top-Executives wäre verheerend

Stellen wir uns doch mal eine Welt vor, in der Führungspositionen nur noch mit Personen besetzt werden, die maximal 35 Jahre alt sind. Diese Führungskräfte wären zwar bestens ausgebildet und könnten durch hochkarätige Hochschulabschlüsse und ihr junges, frisches Auftreten glänzen. Vielleicht wäre ein Teil von ihnen auch erfolgreich, visionär und genau richtig für seine jeweilige Stelle. Doch spätestens wenn diese jungen Führungskräfte dann in Krisen- oder Ausnahmesituationen geraten, würde ein wichtiger Faktor fehlen: intensive Erfahrungen in allen Unternehmenssituationen.

Ältere Top-Executives bringen diese Erfahrung von Natur aus mit. Sie wissen, wie in schwierigen Situationen zu handeln ist und bereiten auf Basis dieser Erfahrung den Boden für die innovativen Ideen und Konzepte von morgen. Sie agieren besonnen und gewissenhaft. Ältere Bewerber sind im Topmanagement wahrlich Gold wert – deshalb wäre eine Altersgrenze fatal. Sie würde die Unternehmen von ihrer wichtigsten Währung abkoppeln – der langjährigen und krisenerprobten Erfahrung.

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Claus Verfürth

Claus Verfürth ist Managing Director und Partner bei The Boardroom, dem von Rundstedt Beratungsbereich für Top-Manager.

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