Aufmerksamkeit ist in unserer schnelllebigen Welt zu einem kostbaren Gut geworden. Die Informations- und Bilderflut führt seit einigen Jahren zu einer Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung und einer empfindlichen Verschiebungen in der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Insbesondere die neuen Medien gelten diesbezüglich als verstärkender Faktor. Wer heute auf sich aufmerksam machen will, muss immer häufiger zu Medienstrategien greifen, die bewusst polarisieren und provozieren. Diese Entwicklung wirkt sich auch auf die Kultur der Unternehmensführung aus. Zur Debatte steht dabei, wie stark Top-Manager heute polarisieren dürfen?
Lange Zeit galt: Bloß nicht anecken
Dass heute überhaupt die Frage gestellt wird, wie sehr Top-Manager mit ihren Aussagen polarisieren dürfen, hängt mit dem Phänomen der „politischen Korrektheit“ zusammen. Dieser Begriff trifft auf Äußerungen zu, die so weichgespült werden, dass niemand mehr etwas dagegen sagen kann. Dahinter verbirgt sich unter anderem die Angst vor negativen Konsequenzen, wenn sich Menschen eventuell vor den Kopf gestoßen fühlen. Durch diese Bemühungen lassen sich Positionen heute meist kaum noch voneinander unterscheiden.
Wer polarisiert, bietet Angriffsfläche
Wenn es heute unter Führungskräften umstritten ist, sich öffentlich kontrovers zu äußern, liegt dies oft auch an anderen Faktoren. Wer sich offen, direkt und unverfälscht äußert, offenbart damit, ob und welche Höflichkeitsformen er wahrt, welche Werte er vertritt und was seine persönliche Meinung ist. Dieses Verhalten bietet Angriffsfläche und Raum für Kritik. Damit verbunden ist die Angst, Angreifbarkeit und öffentliche Kritik könnten als Schwäche ausgelegt werden. Besonders die Befürchtung, sich in einem ohnehin stressigen Arbeitsalltag zusätzlich öffentlichem Druck auszusetzen, bewegt Führungskräfte zu eher moderaten Positionen.
Wer spricht, wenn sich Führungskräfte äußern?
Erschwerend kommt hinzu, dass Führungskräfte sich nicht einfach als private oder öffentliche Person äußern. Wenn Topmanager kontroverse Meinungen oder polarisierende Positionen vertreten, fällt das auch im Regelfall auf das jeweilige Unternehmen zurück, das diese vertreten. Beide Rollen strikt voneinander zu trennen ist fast unmöglich. Jede Führungskraft, die sich öffentlich äußert, muss sich darüber bewusst sein, dass eine Äußerung auf das Unternehmen zurückgeführt wird. Zu einer unumgänglichen Herausforderung wird dieser Zusammenhang deshalb, weil eine der primären Aufgaben von Topmanagern ist, das Unternehmensprofil in jeglicher Hinsicht auch in der Öffentlichkeit zu repräsentieren.
Wenn Topmanager kontroverse Meinungen oder polarisierende Positionen vertreten, fällt das auf das Unternehmen zurück
Alleinstellungsmerkmale und Wahrnehmbarkeit hängen zusammen
Führungskräfte müssen nicht nur für die eigenen Mitarbeiter sichtbar sein, sondern für ein breiteres Publikum. Insbesondere Kunden, Zulieferer, Geschäftspartner, Stakeholder oder Aktionäre reagieren sensibel auf öffentliche Äußerungen. Dazu müssen Top-Manager einerseits intern klare Ziele definieren und sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein, andererseits nach außen hin als Repräsentant des Unternehmens auftreten. Um beide Aufgaben gleichermaßen zu erfüllen, ist es notwendig, sich der Logik der öffentlichen Wahrnehmung anzupassen.
Dazu kann es notwendig sein, dass sich Führungskräfte mit polarisierenden Thesen zu Wort melden. Allerdings gibt es zwei Voraussetzungen, unter denen solche Äußerungen kritisch beurteilt werden sollten. Weder das Unternehmen noch die eigene Person dürfen durch diese Äußerungen zu Schaden kommen. Insbesondere Provokationen, die oft durch impulsive, unreflektierte Meinungsäußerungen zustandekommen, bringen zwar Aufmerksamkeit, dienen aber nicht einer zweckmäßigen Polarisierung.
Führungskräfte müssen einem breiten Publikum sichtbar sein und sich der Logik der öffentlichen Wahrnehmung anpassen.
Zwischen Verantwortung und Polarisieren: Eine Gratwanderung auf der Management-Ebene
Wie stark dürfen Aussagen polarisieren, ohne dass sie für Führungskräfte zum Verhängnis werden? Dies Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Polarisierung als Strategie stellt eine Gratwanderung dar, die individuell zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Dass man sich mit der Vertretung von Extrempositionen nicht nur Freunde macht, ist selbstverständlich. Seiner Verantwortung dem Unternehmen gegenüber muss sich der Senior Executive dabei jederzeit und bei jeder Aussage im Klaren sein.
Die Interessen Ihres Unternehmens klar zu vertreten und sie auch nach außen hin darzustellen, sollte Priorität haben. Solange aber durch eine polarisierende Aussage kein Schaden angerichtet wird, stellt sie ein sinnvolles Instrument dar, das für ein geschärftes Unternehmensprofil in der öffentlichen Wahrnehmung sorgt.
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