Open Source Intelligence (OSINT) – Wie sich Personaler auf Vorstellungsgespräche vorbereiten

Open Source Intelligence (OSINT) – Wie sich Personaler auf Vorstellungsgespräche vorbereiten

Open Source Intelligence (OSINT) – Wie sich Personaler auf Vorstellungsgespräche vorbereiten 1024 683 Christian Scherg

Bum-bum…bum-bum… bum-bum… – der Puls des Kandidaten im Vorstellungsgespräch rast vor Nervosität und Anspannung.

Klick-klick…klick-klick…klick-klick – die Hände der Recruiterin rasen über die Tastatur ihres Laptops. Dann hat sie gefunden, was sie sucht. Hält inne und dreht den Rechner um. Der Bildschirm zeigt das PDF der Promotionsurkunde des Kandidaten. „Unsere IT-gestützte Dokumenten- und Schriften-Analyse hat festgestellt, dass das PDF nachträglich bearbeitet wurde.“ Schweigen beim Kandidaten. Die Gesprächspartnerin blickt ihn direkt an. „Anders ausgedrückt: Bei dem Dokument handelt es sich um eine Fälschung.“

Open Source Intelligence – Technische Tools verändern das Recruiting

Dank Programmen wie Photoshop oder Acrobat können mittlerweile selbst Amateure ihre Bewerbung manipulieren. Doch auch die Executive Search Spezialisten rüsten auf. Mit entsprechender Software und Open Source Intelligence Maßnahmen wird professionell gegenrecherchiert: Wie präsentiert sich ein Bewerber in den digitalen Medien? Die Unternehmen, für die diese Searchspezialisten  arbeiten, erwarten diese Recherche. Genauso, wie das Einverständnis auf Seiten der Bewerber, die ja schließlich in Zeiten von Google, Facebook und Cambridge Analytica ohnehin nichts mehr zu verbergen haben.

Im Falle, dass man allerdings doch etwas zu verbergen hat, so schiebt man dies am besten auf Seite zwei der Google-Suchergebnisse. An der etwas nerdig anmutenden Volksweisheit ist etwas dran: Bis auf Seite 2 schaffen es tatsächlich nur noch wenige Google-Sucher.

Diejenigen, die tiefer blicken, sind zwar nicht so zahlreich, aber meist haben sie dafür  gute Gründe. Und in der Regel schauen sie ganz genau hin. Bevor dies allerdings der Auftraggeber macht und eine böse Überraschung erlebt, führt der Personalberater heute diesen Check-up im Sinne seines Kunden durch.

Open Source Intelligence als Recherchetool

Der virtuelle Klappspaten zur Leichensuche heißt OSINT (Open Source Intelligence), ein ursprünglich von den Nachrichtendiensten geprägter Begriff. Bei einer OSINT-Analyse werden aus allen öffentlich zugänglichen Bereichen des Internets – auch aus denen des Dark Webs – Informationen gesammelt, zusammengefügt und analysiert. Das Besondere daran ist, dass Experten mit ihren trainierten Recherchemethoden und speziellen Tools an Informationen gelangen, die sie über klassische Suchanfragen gar nicht oder nur mit viel Aufwand finden können. Die aufgespürten Informationsfragmente werden zu belastbaren Aussagen, Vermutungen oder Fragen an den Kandidaten verdichtet.

Im Rahmen der internationalen und mehrsprachigen Recherche wurde herausgefunden, dass ein potentieller Finanzvorstand als Head of Controlling im Rahmen seiner vorherigen Tätigkeit in der Stahlbranche längere Zeit in einem südamerikanischen Land gelebt und gearbeitet hat. Dieses Land rangiert im Korruptionsranking auf einer der Top-Positionen. Explizit aufgeführt ist dieser Aufenthalt interessanterweise weder im Lebenslauf noch in den entsprechenden Zeugnissen.

Es ist zuweilen ein Drahtseilakt, in einem solchen Land erfolgreich Geschäfte zu tätigen, ohne sich gewissen Gepflogenheiten anzupassen und die Compliance-Richtlinien zu verletzen. Verschiedene Projekte konnte man in einem nächsten Rechercheschritt dem Kandidaten inhaltlich und zeitlich zuordnen ­– Projekte, die bereits im Fokus von Ermittlungen standen und je nach Ausgang der Untersuchungen auch noch Jahre später zu erheblichen Haftungsrisiken führen könnten. Insgesamt eine wichtige Information, die die Entscheidung des zukünftigen Arbeitgebers maßgeblich beeinflusst hat.

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Private Infos im Web geben Aufschluss über Bewerber

Neben dem beruflichen Umfeld wird ebenso das private Umfeld gründlich untersucht. Private Informationen, die über eine Person im Internet auffindbar sind, bieten eine Fülle an interessanten Hinweisen. Und dank der sozialen Medien, einem unbedachten Umgang mit den Sicherheitseinstellung und unvorsichtigen Freunden, kann hier auch nicht von Privatsphäre gesprochen werden. Hinweise auf Hobbys, Engagements, Urlaube, sportliche Aktivitäten und Mitgliedschaften privater Natur gibt es im Überfluss – gratis und datenschutzkonform. Ein wahres Schlaraffenland für den der sucht und unbedingt etwas finden möchte.

Hier steckt vielleicht das größte Deutungspotential. Der Kauf eines neuen V8 oder regelmäßige Party-Wochenenden, zu denen die Person freitags hin und samstags zurückfliegt, geben ein nicht so gutes Bild ab. Zumindest dann nicht, wenn sie sich beispielsweise für einen verantwortungsvollen Posten in einem Unternehmen bewirbt, dass sich den Klimaschutz in großen Buchstaben auf die Fahne schreibt.

Peer Group – wie das nahstehende Umfeld ins Visier von Personalern gerät

Familienmitglieder und häufig auftretende Kontakte, die sogenannte Peer Group, geraten genauso ins Visier der Online-Ermittler. Es ist überaus aufschlussreich, herauszufinden, mit wem der Kandidat verkehrt, welchen Umgang er pflegt und wie sich seine Peer-Group positioniert – gesellschaftlich, privat und natürlich politisch. Aus welchem Milieu sie kommen, was sie beruflich machen, was sie mit dem Kandidaten gemeinsam haben und auch welches Verhältnis sie zueinander haben. Dabei schlägt der Puls eines jeden Profilers höher – allerdings, im Gegensatz zu dem des Bewerbers – vor Freude.

Aber auch Gesten, Mimik und äußerliche Veränderungen auf Fotos und Bewegtbildmaterial haben eine enorme Aussagekraft und können bei richtiger Deutung so einiges über die Person verraten. Ein nervöser gehetzter Blick oder aber ein betretenes unsicheres Schauen nach unten während eines Interviews oder einer Pressekonferenz bieten jedem Psychologen ausreichend Ansatzpunkte für Deutungen.

Ein radikaler Gewichtsverlust, eine deutlich erkennbare Gewichtsabnahme oder ein ungesunder Teint könnten etwa mögliche Krankheiten oder eine Alkohol- oder Drogensucht bedeuten. Auffällige beabsichtigte Veränderungen von Äußerlichkeiten, wie Frisur, Kleidungsstil oder Make-up können auch einiges implizieren.

Achtsam mit persönlichen Informationen im Internet umgehen

„Das Internet vergisst nie!“. Noch so eine digitale Weisheit, die zunächst ziemlich platt klingt, aber so manchen Kandidaten in Bedrängnis bringt. Es reicht nicht aus, nur mal eben offensichtlich negative, rufschädigende oder unschöne Inhalte aus dem Internet zu entfernen. Das mag auf den ersten Blick ein probates Mittel sein, um ein gutes Bild im Netz abzugeben und einen guten Eindruck zu machen. Aber eben nur auf den ersten Blick. Entscheidend sind die Informationen, die auf den zweiten und dritten Blick interessant sind und den Sucher neugieriger machen.

Es ist unrealistisch, sich dem Netz völlig zu entziehen. Was aber ein jeder verhindern kann, ist ein zweifelhaftes Gesamtbild abzugeben, was bei jedem Kandidatengespräch zu erhöhtem Puls, zu Herzrasen und im schlimmsten aller Fälle zu einer weiteren Absage führt.

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[Bildnachweis: © iStock – golubovy]

Christian Scherg

Christian Scherg ist Geschäftsführer der 2007 von ihm gegründeten REVOLVERMÄNNER® GmbH.

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