Beirat oder Aufsichtsrat: Wollen Sie wirklich berufen werden?

Beirat oder Aufsichtsrat: Wollen Sie wirklich berufen werden?

Beirat oder Aufsichtsrat: Wollen Sie wirklich berufen werden? 1024 695 Dr. Viktoria Kickinger

Eine Umfrage unter Führungskräften der ersten Berichtsebene im März 2021 hat das nicht wirklich überraschende Ergebnis gebracht: 95 % können sich gut vorstellen, ihre Erfahrungen als Aufsichtsrat oder Beirat in eine Gesellschaft einzubringen. Die meisten geben dies sogar als konkretes nächstes berufliches Ziel an. Auf den ersten Blick ist das ein realistisches Vorhaben, werden doch mehr Aufsichtsräte denn je in Deutschland gebraucht. Vermeidung von Overboarding ist der Grund, warum Unternehmen – nicht selten händeringend – nach qualifizierten Aufsichtsräten suchen.

Corporate Governance Kodex als Leitlinie

Der Deutsche Corporate Governance Kodex fordert das einzelne Aufsichtsratsmitglied auf, bereits vor der Wahl sicherzustellen, dass hinreichende zeitliche Ressourcen für das künftige Amt zur Verfügung stehen. Die nahezu monatlich steigenden Anforderungen bedingen diese Maßnahme, wenn man das Amt verantwortungsbewusst ausüben will.

„Als Aufsichtsratsmitglied muss man mit seinen Erwartungen auf dem Boden der Realität bleiben.“

Ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft darf laut AktG maximal zehn Mandate innehaben, wobei der Aufsichtsratsvorsitz doppelt zählt. Der Kodex hält diese Anzahl für unvertretbar und geht zu Recht deutlich weiter. Er fordert die Beschränkung auf fünf Mandate, in die gleiche Richtung geht die Forderung der Investorenvertreter bzw. Stimmrechtsberater. Noch schärfere Anforderungen gelten für Vorstandsmitglieder einer börsennotierten Gesellschaft. Sie sollen maximal zwei Mandate haben. Da die wahren Wächter der Corporate Governance die (machtvollen) Stimmrechtsberater sind, ist klar, wohin die Reise geht.

Nebenjob oder Hauptberuf?

Die Frage nach der Motivation für die Übernahme eines solchen Aufsichtsratsamtes muss sich jeder Kandidat selbst stellen. Es gibt mittlerweile auch ausgewählte Experten, welche psychologische Eignungsprofile der Kandidaten in aufwändigen Verfahren erstellen. Davor noch muss für jeden künftigen Kandidaten die (Selbster)Kenntnis über die Tätigkeit des Aufsichtsrats und das eigene Leistungsvermögen stehen. Medien und die Handvoll prominenter Aufsichtsräte mit üppigem Salär verzerren das Bild gewaltig.

Es gibt sogar schon die Wahl zum besten Aufsichtsrat des Jahres. Eine Peinlichkeit ohnegleichen. Nicht nur, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied nur im Rahmen des Kollegialorgans tätig werden kann, sondern auch deshalb, weil außerdem die Tätigkeit des Aufsichtsrats der absoluten Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Als Aufsichtsratsmitglied muss man mit seinen Erwartungen auf dem Boden der Realität und des Erwartbaren bleiben. Man wird im Allgemeinen weder berühmt noch reich und soll tunlichst keine neuen, gar mächtigen Freundschaften in den Gremien erwarten, wie es das mediale Zerrbild suggeriert.

Der Aufsichtsrat bestellt, überwacht und berät den Vorstand – immer unter der obersten Prämisse, zum Wohle der Gesellschaft zu agieren. Der Aufsichtsrat beurteilt das Handeln des Vorstands nach den Kriterien der Rechtmäßigkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Zweckmäßigkeit. Das vielzitierte Hertie-Urteil aus dem Jahr 1982 besagt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied über diejenigen Kenntnisse verfügen muss, die im Aufsichtsrat bei den dort typischerweise zu behandelnden Themen erforderlich sind. In der Praxis bedeutet dies, dass man nicht nach, sondern vor der Wahl in einen Aufsichtsrat die nötigen Kenntnisse zu erwerben bzw. bereits zu besitzen hat.

25.000 Paragraphen – Bereitschaft und Verpflichtung zur ständigen Qualifizierung

Familienunternehmen und externe Topmanager

Aufsichtsrat oder Beirat zu werden ist eine Sache, das Amt nach bestem Wissen und Gewissen gesetzeskonform auszuüben ist jedoch eine ganz andere Herausforderung. Dazu gehört kraft Gesetzes, aber auch aus höchstpersönlichem Verantwortungsbewusstsein, die ständige Weiterbildung. Wie es keinen Chirurgen gibt, der noch operiert wie vor zehn Jahren, darf es auch keinen Aufsichtsrat geben, der noch auf dem Wissensstand des Jahres 2011 meint, seinem Amt gerecht werden zu können.

Das einzelne Aufsichtsratsmitglied muss im Grundsatz circa 25.000 Paragrafen „auf dem Schirm haben“. In Deutschland gibt es heute rund 1.800 Gesetze mit etwa 76.000 Paragrafen und darüber hinaus noch unzählige Verordnungen. Der Bundestag hat in den letzten vier Jahren über 400 Gesetze verabschiedet, viele davon sind auch für den Bereich des Aktiengesetzes relevant. Das muss ein Aufsichtsratsmitglied realisieren und bei der Wahrnehmung seiner verantwortungsvollen Aufgabe berücksichtigen: 500 neue Gesetze in vier Jahren, die die Tätigkeit des Aufsichtsrats im weitesten Sinn betreffen.

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Eine umfassende Untersuchung der Directors Academy Hamburg hat zutage gebracht, dass sich gerade einmal 3,7 % der deutschen Aufsichtsräte regelmäßig weiterbilden. 96,3 % muss man demnach als Weiterbildungs-Asketen bezeichnen.

Dieses für die deutsche Corporate Governance und die deutsche Wirtschaft erschütternde Bild ergänzt eine Umfrage des DWS (Deutsche Gesellschaft für Wertpapierbesitz) unter DAX-Kontrolleuren aus dem Januar 2021: Die dort interviewten 90 Aufsichtsratsmitglieder gaben ihren Kollegen im Schnitt 48 von 100 Kompetenzpunkten, sich selbst bewerteten sie hingegen mit 79 von 100 Punkten. Noch Fragen?

Fazit: Wer suchet, der suchet… und wird dennoch nichts finden?

Die Suche nach Aufsichts- und Beiräten ist noch nicht professionalisiert. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats bzw. der Nominierungsausschuss haben nicht viele Möglichkeiten, qualifizierte Persönlichkeiten zu finden. Aber eines steht fest: ohne Qualifikation geht bald gar nichts mehr. Personalberater suchen passende Kandidaten ohne Leidenschaft, zu gering ist ihre Provision, Anzeigen in Medien kann man aus Gründen der Verschwiegenheit nicht schalten, die Ergebnisse ließen sich dann auch kaum professionell auswerten. Online-Datenbanken sind unausgegoren und nicht aussagekräftig.

Was bleibt? Empfehlungen aus dem Netzwerk, Beobachtungen in der einschlägigen Öffentlichkeit. Eine zutiefst unbefriedigende Situation. Unternehmen suchen qualifizierte Kandidaten und Kandidatinnen für ihre Aufsichtsräte, qualifizierte Personen suchen passende Mandate. Und all diese hochqualifizierten Manager und Managerinnen und die Unternehmen können zueinander nicht finden! Wer sucht, der findet trotzdem nicht – das gilt leider für beide Seiten!

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[Bildnachweise: © iStock – ismagilov / shutterstock.com – fizkes / Autorenprofilbild: Martina van Kann]

Dr. Viktoria Kickinger

Dr. Viktoria Kickinger hat ihre berufliche Karriere in Staatskonzernen gemacht und war eine der ersten hauptberuflichen Aufsichtsrätinnen. Sie ist die Gründerin der Directors Academy Hamburg, Marktführer in digitaler und multimedialer Weiterbildung für Aufsichtsräte. Viktoria Kickinger ist die Pionierin der Aus -und Weiterbildung für Kontrollorgane.

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